40 Stunden Offroad -
Hardalpi Extreme
Zum dritten Mal starten wir bei der Hardalpi
– dem Enduro – Event für die richtig großen Enduros. Unter 150kg dürfen nur
Neulinge fahren, nur das erste Mal und danach muss es mehr (besser: schwer)
sein. Wir sind mit unseren Suzuki Team die „BIG Ducks“, auf jeden Fall in der
richtigen Gewichtsklasse und mittlerweile alte Hasen, was die Kenntnis der
Organisation angeht. Trotzdem beeindruckt mich, mit welcher Ruhe und
Gelassenheit das Organisationsteam von „Over 2000 Riders“ das Gewusel mit 480
Fahrern aus immerhin 16 Nationen im Griff hat. Weder bei der Papierabnahme noch
im Fahrerlager gibt´s Stress. Gut für die Neulinge, denn der ein oder andere
ist aufgeregt wie beim Dakar Start. Genauso ist übrigens das „Tamtam“ vor der
eigentlichen Abfahrt gestaltet, mit einem ausführlichen Briefing im mondänen
Casino von San Remo. Die Damen in Abendkleidern staunten nicht schlecht, als wir
mit Crossstiefeln über den roten Teppich stampften.
Im großen Saal wird neben wichtigen Infos auch
die Vorstellung von Sponsoren, berühmten Dakar – Haudegen und nicht zuletzt von
der neuen Yamaha T 700 zelebriert, während alle schon auf den Start gespannt
sind.
Das Hardalpi Event ist kein Rennen, trotzdem
wird in 3 Klassen gestartet. Die Extreme Class ist am Freitag kurz vor
Mitternacht dran, wir fahren bis Sonntag mehr oder weniger „durch“ – und sind
es dann auch. Das ganze Gelände am und im Parc Ferme verwandelt sich kurz vor
23.00 Uhr in einen Hexenkessel. Mehrere Hundert Motoren starten gleichzeitig,
dazu Einheimische, „Fachbesucher“ und die Teilnehmer der am nächsten Tag
startenden Classic und Discovery Class
ergeben ein dichtes Zuschauermeer. Über
die mit bunten Scheinwerfern beleuchtete Rampe fahren, wie über eine
leuchtende Insel, die Teams in die Nacht.
Die BIG Ducks starten nach den Dakar Helden in Reihe zwei. Wir machen
noch tüchtig mit beim Tohuwabohu, geben den Motoren noch richtig Dampf – und
sind endlich auf der Rampe. Ein Interview mit dem Orga Chef Corrado Capra: Ich
verstehe kein Wort, um uns herum ist gleißendes Licht, ein unglaubliches Getöse
–endlich dürfen wir in die (erste) Nacht entschwinden.
Nach einigen Kilometern am Meer steigen wir
bei Ventimiglia in die Ligurische Grenzkammstraße ein – jetzt höre ich nur noch
meinen Motor.
Wir verfolgen die nordwärts führende
„Ligurische“ aber nicht sehr lange, für die Extreme Klasse führt eine Schleife
über Garessio quer durch Ligurien, kleinste Straßen, Wege Pisten mit endlos
vielen Kurven - und irgendwann wünscht Du
Dir einfach mal Gas geben und „Meter“ machen zu können.
Eine Piste nach Mitternacht mitten im Wald,
von vielen Lichtkegeln beleuchtet, ich bremse – und erwische die üble
Bodenwelle davor voll. Das Fahrwerk meiner Rallye BIG schluckt den Brocken,
Andre ist hinter mir etwas zu spät dran, schleudert und stürzt dabei
unglücklich aufs Handgelenk. Es bleiben ins Ziel noch über 700 Kilometer, Andre
ist unglücklich - und raus. Wir machen
das aus Spaß, nicht zum Selbstmord. Die erste Nacht vergeht dennoch schnell. Ausgeruht
und motiviert wie im Rausch rieseln die Kilometer durch den Tripmaster. Der
Lichtkegel fokussiert Dich auf den Track vor Dir. Gerade 15 Minuten „Powernapping“
müssen reichen für die Nacht. Am Morgen gibt’s
für uns eine Kontrollstelle in Bardineto. Das kleine Kaff hat eine ganze
Servicezone organisiert: Es gibt heißen Kaffee und Tee, süße Stückchen und eine
Menge netter Einwohner, die sich rührend um uns kümmern. Der kleine Ort hat
eine tolle Kirche, doch nach Sightseeing ist uns nicht. Wir bekommen eine Menge
Andenken mit, vielleicht kommen wir ja nochmal zum Schauen her. Weiter geht’s
über schmale Pfade bis zum Stopp in Garessio, wo eine Relaxzone und warmes Mittagessen
locken. Im Etappenziel Ernüchterung: Das Essen ist noch nicht fertig, die
Relaxzone entpuppt sich als Turnhalle mit sehr nettem Personal, aber eiskalt
und ohne irgendwelche Liegemöglichkeiten wie Matratzen – der Relax ist minimal.
Leicht angefröstelt freuen wir uns auf den warmen Nachmittag auf sonnigen
Pisten und nähern uns wieder der Ligurischen Kammstraße. Diese verwöhnt uns mit
vielen gigantischen Eindrücken, bis wir am frühen Abend Limone Piemonte
erreichen. Dort ist ein zweites, riesiges Zelt errichtet, warmes Essen gibt es
und wir treffen auf die am Samstag gestarteten Teilnehmer der Classic und
Discovery Route. Wir sitzen am Tisch mit David Fretigne und Alessandro Botturi.
Der Werksfahrer hat direkt am
Zelteingang die neue Yamaha T700 geparkt - aha sie fährt tatsächlich J!
Der japanische Konzern präsentiert sein neues Konzept direkt in die Zielgruppe
hinein, Botturi lässt es besonders an den Photopoints „krachen“, sorgt damit
für die gewünschten spektakulären Bilder.
Die zweite Nacht bricht an und wir spüren den
Schlafmangel der letzen 24 Stunden. Konzentration ist gefragt und öfter mal
eine Pause. Und die Möglichkeiten dafür sind reichlich: In vielen kleinen Orten
entlang der Strecke sind Servicepoints eröffnet. Die ganze Nacht hindurch stehen
die Einwohner bereit, um jeden der Teilnehmer bestens zu versorgen.
Lichterketten, Kerzen, heiße und kalte Getränke, kleiner Imbiss – es ist
beinahe wie ein Volksfest. Wir planen eine längere Pause in einem Servicepoint
mit Gasthof. Dort legen wir uns von zwölf bis drei mit vielen anderen müden
Kriegern auf den Boden der Kneipe, um etwas zu schlafen. Der Wirt macht den Job
schon länger und ist den Anblick gewohnt. Er bietet den Erwachenden freundlich
einen starken Kaffee an, bevor wir wieder in die Nacht hineinfahren. Tankstopp
morgens um vier: Der Tankautomat
verschluckt vierzig Euro, Sprit gibt’s nur für zwanzig. Wir sind sauer! Tanken
in Italien ist bei den Spritpreisen immer mit dem Gefühl verbunden, die
Tankstelle mit zu kaufen. Immer wieder schrauben wir uns über Serpentinen
empor, um danach über steile Schotterpisten bergab zu kraxeln. In einem Steinbruch
gibt´s eine Auffahrt mit losen Schotter. Im Augenwinkel sehe ich noch ein paar
Jungs müde grüßen. Die Teilnehmer kommen mit einer gewaltigen Bandbreite an
Fahrkönnen. So quält sich ein Teil mühsam durch Abschnitte, welche die Geübten
gar nicht so anspruchsvoll wahrnehmen. Jetzt macht sich Müdigkeit breit und wir
hoffen auf den Sonnenaufgang. Vor dem Einstieg ins Finale – der Assietta
Kammstraße bis Sestriere - lockt uns noch
einmal ein leckeres Frühstücksbuffet. In meinem Kopf macht sich schon Cappucinoduft
breit, das Hotel Chiabriera in Pomaretto
gibt sich eine unglaubliche Mühe, alle Nachtschwärmer auf das Beste zu
verköstigen. Über den Colle Fenestrelle klettern wir nach oben zur Assietta,
die uns wiederum mit besten Ausblicken verwöhnt. Sonne und weiße Wolken geben
mit hohen Gipfeln ein prächtiges Panorama für Erinnerungsfotos. Kurz vor
Sestriere nochmal rechts abbiegen und die Talseite zu wechseln – die Extreme
Route führt nochmals über ein Schleife am Lago Nero vorbei. Dort treffen wir
Andre, die Hand ist mit Tape gesichert. Nachmittags um zwei erreichen wir nach 800
Kilometern Hardalpi ein wenig müde, aber
glücklich das Ziel in Sestriere. Wir wissen jetzt schon, das wir 2019 unbedingt
wieder dabei sein müssen - bei den
längsten Enduronächten des Jahres.